„Fahren wir oder fahren wir nicht?“ Bis zum Aufbruch war die Studienfahrt der Kursstufe 2 mit Fragezeichen versehen. Doch Schüler und Lehrer waren sich einig: In diesem Jahr lassen wir uns diese Fahrt nicht auch noch nehmen. Unter diesem Prämisse setzten vor allem die durchführenden Lehrer Katrin Zimmermann und Timo Schlotterbeck alles daran, eine für ihre Schüler unter Abwägung aller Risiken erfolgreiche Fahrt im letzten Jahr ihrer Schulzeit am AMG auf die Beine zu stellen. Bereits vor den Sommerferien war die Planung und Buchung abgeschlossen. Doch die Pandemie sowie die Achterbahn der Inzidenzen und das Wirrwarr der Maßnahmen stellten die Organisatoren vor immer neue Herausforderungen. Am Sonntag, dem 19.9.21 war es dann endlich soweit. Morgens um 6 startete die gesamte Kursstufe 2 des AMG mit ihren Lehrern Katrin Zimmermann und Timo Schlotterbeck per Bahn ihre Reise nach Berlin. In der Vorwoche der Bundestagswahl war der Besuch der Hauptstadt besonders spannend. Wo, wenn nicht in Berlin, war die politische Stimmung der Republik unmittelbar spürbar. So wurde die Fahrt ihrem Namen „Studienfahrt“ mehr als gerecht, denn die Schüler konnten als wichtigstes Souvenir ein gelebtes Verständnis von Politik und Geschichte mit nach Hause bringen. Bei einem Rundgang durchs Regierungsviertel besichtigten sie zentrale Orte der Politik in Deutschland. Besonders die Führung durch das ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen beeindruckte die Schüler zutiefst — nicht zuletzt wegen des dramatischen und überaus authentischen Auftretens des Zeitzeugen Ret Langmeier. Dieser war selbst Anfang der 80er dort Insasse gewesen und schilderte den aufmerksamen Schülern das tagtägliche Leben im Gefängnis, die Manipulation und Traumatisierung durch die Stasi, sowie die früheren Bedingungen unter russischer Kriegsgefangenschaft. Das Thema „Deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg“ wurde durch einen Besuch des Museums „Alltagsleben in der DDR“ im wahrsten Sinne des Wortes lebendig. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch der Blindenwerkstatt Otto Weidt. Dieser hatte zur NS-Zeit zahlreiche Blinde und Juden in seiner Bürstenfabrik angestellt und sie somit vor der Deportation bewahrt. In den ehemaligen Arbeitsräumen und Verstecken wurden die Einzelschicksale den Schülern sehr eindrücklich greifbar gemacht. Neben solch anspruchsvollen und beeindruckenden Geschichtslektionen standen aber natürlich auch touristische Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Berlin hat viel—vielleicht sogar alles—zu bieten und gilt vor allem bei jungen Generationen als der Ort, an dem sich „alles“ abspielt. Eigenständig besuchten die Schüler Museen oder probierten internationale Gerichte, von denen sie in Rottweil noch nie etwas gehört hatten. Bedingt durch Corona war das Programm zwar nicht ganz so gefüllt wie in den bisherigen Jahren — dafür konnten die Schüler unter Einhaltung der aktuell doch recht moderaten Coronaauflagen Berlins das Hauptstadtleben mit seiner vielfältigen Kultur auf eigene Faust erkunden. Diese Studienfahrt hat sich angesichts der besonderen Bedingungen als ganz besonders wertvoll erwiesen. Allen Teilnehmern war bewusst, dass solch eine Unternehmung seit Corona nicht mehr selbstverständlich ist. Zugleich stärkte dieses Bewusstsein den Zusammenhalt der Gruppe und das Erleben der Gemeinschaft ungemein. „Wir könnten sofort wieder fahren und sind froh, dass wir uns auf dieses Abenteuer trotz aller Kassandrarufe eingelassen haben“ meint Timo Schlotterbeck am Tag der Rückkehr. Die gelungene Studienfahrt des AMG konnte beweisen: Außerunterrichtliche Veranstaltungen trotz Corona — das geht, wenn alle mitspielen!
Karla Rieker